Nyepi


Ist einer der wichtigen Zeremonien in Bali. Mit Nyepi beginnt ein neues Kalenderjahr. Schon Tage vor der eigentlichen Zeremonie kommen die Balinesen zu ihrem Geburtsort um sich dort einer rituellen, geistigen Reinigung zu unterziehen. Festlich gekleidet treffen sich so die Familienclans. Und natürlich wird auch das neue Haus mit dem grossen Garten in der unmittelbaren Nachbarschaft erkundet. Und so flanieren hunderte von Balinesen dem Strand entlang bleiben wie zufällig stehen und schauen wie zufällig auf unser Grundstück und verfolgen jede Bewegung der Bewohner.


Beim letzten grossen Feiertag wohnten Thea und ich noch im Lumbung, dem Gästehaus. Das liegt 10 Meter vom Strand entfernt. Und die Schaulustige Menge versuchte uns mit freundlichen Gesten und kleinen Provokationen zu irgendwelchen Reaktionen zu bewegen. Etwa so wie die Zoobesucher vor der dicken Scheibe des Affenkäfigs. Und in etwa so wie die Affen verhielten wir uns auch. Wenn es zu bunt wurde dann machten wir zum Gaudi der Zoobesucher entsprechende Gebärden. Und wir fühlten uns eingesperrt und ausgestellt. Nach 2 Stunden war der Spuk vorbei.


Heute war die Situation ruhig und entspannt. Einerseits wohnen wir jetzt im Mainhouse, zu weit vom Strand entfernt, sodass man sich in der Privatsphäre nicht mehr gestört fühlt. Und inzwischen haben wir auch einen Security, der schlendert am Strandabschnitt umher und plaudert mit den Vorbeikommenden und stillt auch deren Neugier (woher kommen die? wie lange schon? wie lange noch? Wie geht es Deinem Sohn? ist das ein Hotel? Hast du schon gehört Wayan hatte einen Motorradunfall? Sind es Japaner, Australier oder gar Holländer? Meine Frau ist schwanger, es soll ein Knabe werden! Arbeitest du gerne hier? Hat es noch eine Stelle frei? usw.). Und so läuft alles in ordentlichen Bahnen ab.


Auf der Baustelle nebenan ist das ununterbrochene Hämmern eingestellt. Die Arbeiter sind zu ihren Familien gereist. Und es ist fast unnatürlich ruhig. Denn es wird viel, sehr viel gehämmert. Das Gebäude ist zweistöckig mit einem Betonboden für das Obergeschoss. Vermutlich an die tausend Bambusstangen tragen die Verschalung. Und das ganze ist mit zig-tausenden von Nägeln fixiert. Die müssen erst einmal eingeschlagen und später wieder entfernt werden.


Am Samstag fuhr Thea mit dem Driver auf den Markt in Banjar. Sie kam gleich wieder zurück und berichtete, dass sich der Markt bereits um 09:00 Uhr aufgelöst hat. Und man müsse sehr früh auf dem Markt sein. Sie werde morgen zwischen 5 und 6 Uhr mit dem Velo (Farrad) dorthingehen um noch frisches Gemüse einzukaufen. Ich anerbot mich, falls ihr Vertrauen in meine Fahrkünste gross genug sei, sie um diese Zeit hinzufahren.


Am Sonntag fuhren wir also um 5 Uhr los. Und dann waren wir unvermittelt im Marktgeschehen. Links und rechts Stände und ein dichtes Gedränge dazwischen. Und ich mit dem Auto, im Schritt-Tempo, mittendrinn. Ich kam mir vor wie ein Walfisch in einem noch grösseren Sardienenschwarm. Und ich fuhr für europäische Verhältnisse rücksichtslos zu. Keiner ärgerte sich, niemand regelte den Verkehr und niemand wich aus (zumindest nicht merklich). Aber trotzdem: ich gelangte problemlos ans andere Ende des Marktes und konnte dort das Auto abstellen.


Um 5 Uhr Morgens ist es in Bali noch stockdunkel. Die meisten Marktstände waren unbeleuchtet. Und im schummrigen Licht der entfernten Strassenbeleuchtung versuchte Thea die verschiedenen Gemüsesorten zu erkennen. Nebst Gemüse gab es noch Stände mit Fleisch, Hühnern, Gewürz, Fisch, Obst, Kleidern, Geschirr und natürlich Stände mit Opfergaben. In all den vielen Menschen: Kleinhändlerinnen, Hausfrauen, Marktfrauen und Schaulustigen fühlte ich mich wie ein Pinguin an einem Frauenkongress bei Stromausfall. Die wenigen Männer warteten auf ihren Motorrädern oder kleinen Lieferwagen auf ihre Frauen. Und ich stellte mir vor, wie sich die mich beobachtenden Balinesinen darob amüsierten, wie ich brav und völlig unmännlich meiner Frau hinterher watschelte und ihr artig den Korb trug. Ja ja, ein echter Balinese müsste Mann sein!


Als wir zu Hause ankamen war der Nachtwächter auch bereits wach, denn unser frühes Fortfahren schien er nicht registriert zu haben. Aber Nachtwächter sind auch nur Menschen und Menschen brauchen Schlaf. Und ausserdem ist es nur wichtig, dass die Menschen in der Umgebung wissen, dass ein Mitglied des Dorfes auf unserem Grundstück Securitydienste verrichtet. Und auf diese Art sind wir in die soziale Kontrolle der Gemeinde mit eingebunden.


Das eigentliche Nyepi startet mit dem Ogo-Ogo. nach Einbruch der Dunkelheit. Dabei werden die bösen Dämonen mit aufwändig erstellten, wilden Gestalten, die von 6 bis 10 Mann getragen werden, ins Meer gejagt. Und Punkt 01:00 ist dann absolute Ruhe und eine Ausgangsperre angesagt. Kein Licht, kein Verkehr, nichts. Das soll die bösen Dämonen, die vom Schrecken erholt, aus dem Meer zurückkommen, glauben machen, dass die Menschen die Insel verlassen hätten und sich die Insel als Aufenthaltsort für böse Dämonen nicht mehr eigne. Diese Ruhe und Ausgangssperre dauert dann bis zum übernächsten Morgen also etwa 30 Stunden.


Und selbstverständlich haben unsere Staffs in dieser Zeit Urlaub. Mit Ausnahme der für diesen Tag verstärkten Security-Truppe. Denn bei Nyepi sollen Einschleichdiebstähle gehäuft auftreten. Natürlich nicht von rechtschaffenen Balinesen, nein Leute aus den Bergen oder vielleicht Javanesen, das weiss niemand so recht. Aber auf jeden Fall Fremde.


Inzwischen ist es Montag Morgen. Ogo-Ogo ist vorbei. Und im Gegensatz zum Letztenmal haben wir davon nicht viel mitbekommen. Das Dorfzentrum von Kalianget liegt etwa 2 km vom Strand entfernt. Und der Ogo-Ogo Umzug kommt nicht bis zum Strand herunter. An diesem Abend kam noch Any und Wayan vorbei. Sie war trotz ihres Freitages gekommen um anlässlich von Nyepi den Göttern Opfergaben darzureichen und sie dabei zu bitten, das Grundstück und deren Bewohner von den Bösen Geistern zu reinigen (damit ist weder Thea noch ich selbst gemeint, nehme ich mal an). Ich schaute ihr dabei unauffällig zu. Sie war dabei sehr konzentriert und doch gleichzeitig gelassen. Ein gewisses Strahlen ging von ihr aus und in ihrer Tracht sah sie sehr festlich und elegant aus.


In der Zwischenzeit erklärte mir Wayan nochmals die Regeln für Nyepi. Kein Licht, das Grundstück nicht verlassen, keine Lauten Tätigkeiten oder Musik. Blumengiessen sei erlaubt. JäschJäsch sagte ich (diesmal in der Bedeutung, „schon gut, ich weiss das schon längst“).


Thea stellte für die Nacht Kerzen bereit. Wir zogen alle Vorhänge, ich löschte das Licht der Strassenbeleuchtung und sorgte dafür, dass die Notbeleuchtung bei einem allfälligen Stromausfall nicht einsetzen würde. Und dann gingen wir zu Bett. Nach Mitternacht erwachte ich für meinen traditionellen WC-Besuch und kontrollierte bei Kerzenschein, ob allfällige Skorpione meinem Geschäft und meiner Gesundheit hinderlich sein könnten. Anschliessend spähte ich in die vermeintlich dunkle Nacht hinaus aber was sah ich: die Securitys hatten die Festbeleuchtung im Workhouse (wo sie sich aufhalten) eingeschaltet. Und bei allen balinesischen Nachbarn brannte, wie jeden Abend, die Nachtbeleuchtung. Und nun, am Morgen nach Ogo-Ogo, sind nicht weniger Leute am Strand wie sonst. Vielleicht ist es wie mit den Strassenverkehrs-Schildern: sie gelten auch nur für die Ausländer, die Balinesen scheinen da pragmatischer zu sein. Wie ich später erfahren habe gilt das aber nicht für die Städte. Hier patrouilliert die Polizei und verhängt bei Zuwiderhandlung empfindliche Geldbussen.


Aber ruhig ist es. Nicht einmal ein fernes Motorrad, das ohne Auspuff die weit entfernte Hauptstrasse entlang rast. Die Geräuschkulisse gehört nun ganz den Vögeln und im Hintergrund dem plätschern des Brunnen. Auch die Hunde scheinen ruhiger als üblich zu sein. Es ist sehr friedlich und wenn es nach mir ginge könnte einmal im Monat ein Nyepi stattfinden. Obwohl dann Thea und ich während 4 Stunden die Blumen giessen müssten. Aber das ist eine sehr meditative Tätigkeit, die so zwischendurch durchaus ihren Reiz haben kann. (Anmerkung für Thea, die diese Internetseiten vermutlich auch liest: „aber maximal einmal monatlich, ansonsten installiere ich eine automatische Tränkanlage und das würde einen Staff um sein Einkommen bringen und das wollen wir doch nicht, oder?“).


Die Security-Verstärkung hiess Made. Er sah aus wie ein adeliger Pirat. Er hatte auch sehr gepflegte Umgangsformen, ohne unterwürfig zu wirken. Er half Thea beim Blumentränken. Dabei bemerkte Sie, dass der Pirat einen ausgewachsenen Affen mit dabei hatte. Dieser lief frei umher. Thea war etwas erstaunt und auch vorsichtig, denn Affen können recht aggressiv werden. Aber der Pirat beruhigte sie mit einem indonesischen Redeschwall. Ich selbst, hinter meinem Computer, hab davon nichts mitbekommen, Thea erzählte mir das im Laufe des Abend.


Auch die nächste Nyepi-Nacht (ohne Licht und mit Ausgangsperre) ging vorbei. Und nun kümmerten sich wieder die Staffs um das Geschirrspuhlen und das Blumentränken. Da fragte Any zu Thea gerichtet: Du hast den Affen wirklich gesehen? Ja natürlich, er war etwa 50 cm hoch und grau und turnte auf der Grundstücksmauer herum. Später wurde er dann von Made (der Pirat) gefüttert. Any war sichtlich verwirrt und holte Wayan dazu, er spricht besser Englisch. Und Wayan erklärte dann, dass dieser Affe nur von ganz ganz wenigen Menschen gesehen werden könne. Der Affe stamme aus einem Tempel in Westbali und erscheine gelegentlich in der Umgebung des Piraten. Dieser sei sehr spiritistisch und hätte Zugang zu den Geistern. Er würde aber niemals schwarze Magie betreiben.


Eine erstaunliche Storry. Dass Thea den Affen gesehen hat, steht für mich ausser Zweifel. Die einzige rationale Erklärung wäre ein Täuschungsmanöver, das aber recht schwierig durchzuführen gewesen wäre. Den Affen herbringen und wieder wegbringen lassen und das während einer Ausgangs-Sperre. Und dann noch gemeinsam mit den Staffs ein Komplott schmieden. All das scheint mir noch unwahrscheinlicher als diese unglaubliche Geschichte. Nicht zuletzt auch deshalb weil die Balinesen, falls sie Lügen, dies recht stümperhaft tun.


Uebrigens der Pirat sagte auch noch zu Any, dass unser Grundstück eine ganz besondere, positive Ausstrahlung hätte. eine ähnliche Bemerkung machte auch Aris, der den Garten bepflanzt. Er meint, dass noch auf keinem bisherigen Grundstück sich die Pflanzen so rasch verwurzelt hätten.


Wie auch immer: mir solls recht sein.