Nochmals vom Dach

 

 

Ja, eigentlich habe ich dieses abenteuerliche Thema bereits ausführlich beschrieben. Eigentlich könnte ich es dabei bewenden lassen. Denn über dasselbe mehrmals zu berichten entbehrt einem gewissen Reiz es auch zu lesen.

 

Nur zur Erinnerung: Das Auswechseln des Schilfdaches durch Ziegel endete in einer Konfekt-Orgie.

 

Nur, in der Zwischenzeit stellte sich heraus, dass die Dachkonstruktion entgegen den Zusicherungen des GU dem Gewicht der Ziegel nicht gewachsen war. Nun drohten nicht Regengüsse, denen die Planen nicht standhielten; nun schien sich das Dach den physikalischen Gesetzen unterzuordnen und und sich dem Schutz der Götter zu entziehen. Oder einfacher ausgedrückt: es war kurz davor einzustürzen.

 

In einer Blitzaktion unterstützten wir das Gebälk mit Holzsäulen, die zwar den Wohnraum unbenutzbar machten aber vorerst doch das Schlimmste verhinderten. Und ebenfalls in einer Blitzaktion bezogen wir die Schlafräume im Gästehaus, sodass wir, falls es soweit kommen sollte, zwar das Dach würden einstürzen hören, es aber überlebt hätten und darüber einen Bericht hätten schreiben können.

 

Aber Gott sei dank blieb es bei obigem Konditional, sodass sich die erweiterte Dach-Geschichte in einem Satz erzählen lässt: Das Dach wurde komplett abgebaut und neu errichtet.

 

Was aus obiger, Kurz-Geschichte nicht hervor geht ist der Umstand, dass wir beide, Thea und ich, die Nase gestrichen voll hatten. Vom stümperhaft errichteten Dach mitten im vermeintlichen Paradies erschlagen zu werden, entsprach nicht unseren Vorstellungen eines erstrebenswerten Lebensabends. Da sitzt man so gemütlich in Bali, hat die ersten Probleme mit der hiesigen Kultur, Mentalität und Handwerkskunst einigermassen gemeistert und denkt sich, dass man es nun endlich, endlich etwas ruhiger nehmen könnte, so wie man es sich (in etwa) damals in der Schweiz erträumt hatte. Und jetzt noch zusätzlich DAS! Selbst einen Auszug aus dem Paradies zogen wir ernsthaft in Betracht.

 

Warum muss das ausgerechnet uns passieren fragte sich Thea. Ich fragte mich (typisch männlich) was die technische Ursache des Schadens sei. Also stürzte ich mich ins Internet und machte mich zum Thema Baustatik schlau. Nach drei Wochen kam ich zum Resultat, dass eigentlich und theoretisch die Dachkonstruktion knapp und ohne viel Reserve hätte halten sollen. Aber wir sind ja in Bali und da braucht so ein Dach mindestens die zweifache, besser noch die dreifache Reserve. Warum? Weil die hiesigen Baufachleute gelegentlich eine Schraube vergessen, weil die hiesigen Baufachleute gelegentlich die Auflagebalken nicht verankern und weil die hiesigen Baufachleute gelegentlich einen zu kurz geratenen Balken mit Nägeln, etwas Holz und viel Kreativität in die gewünschte Länge bringen. Lauter Kleinigkeiten, die sich meiner Kontrolle in schwindelnder Höhe, wo ich mich niemals hin begeben könnte, entzogen.

 

Thea meinte (typisch weiblich), dass die Ursache völlig nebensächlich sei. Es handle sich ganz klar um einen Garantiefall. Und es sei am GU ein geeignetes Dach zu errichten, warum und wie und zu welchen Kosten sei nicht unser Bier. Dazu hätten wir ja damals einen GU beauftragt. Ich wies darauf hin, dass es in Bali mit Garantie für gar nichts eine Garantie gebe und schon gar nicht für einen so grossen Schaden. Und ausserdem würden auch neue „Baufachleute“ mit Sicherheit wieder dieselben stümperhaften Fehler begehen.

 

Keine Regel ohne Ausnahme, das scheint auch in Bali seine Gültigkeit zu haben. Entgegen meinen begründeten Prognose akzeptierte der GU den Schaden als Garantiefall. Dafür behielt ich mit meiner Einschätzung bezüglich dem Können der „Baufachleute“ leider und eigentlich erstaunlicherweise recht.

 

Denn diesmal sollte das Dach viel seriöser geplant und erstellt werden. Ich bestand darauf, dass ein Baustatiker aus dem etwas weiter entwickelten Süden der Insel bei gezogen würde, der auch die Ausführung kontrollieren sollte. Der Architekt des GU ersuchte seinen ehemaligen Baustatik-Lehrer den Auftrag anzunehmen. Huldvoll erwies er dem ehemaligen Schüler seine Gunst. Er zeichnete die neue Konstruktion mit etwa dreimal soviel Holz, wie die ursprüngliche Konstruktion und berechnete, dass sich das Dach um maximal 2 cm absenken würde. Allerdings, eine Garantie für die Richtigkeit seiner Berechnungen wollte er nicht abgeben. Später stellte sich heraus, dass er zumindest in diesem Punkt mit seiner Einschätzung der Realitäten völlig richtig lag. Die Kontrolle bestand darin, dass er drei mal vorbei schaute und von Unten, mit den Händen in den Hosensäcken sowie seinem seriösesten Bali-Lächeln die Konstruktion sowie die Ausführung in den höchsten Tönen lobte. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber zumindest wäre ich nicht erstaunt, wenn er das erste Mal in seinem Berufs-Leben auf einer Baustelle stand.

 

Ich kontrollierte derweil die Arbeiten am Boden; so gut es eben ging. Zur Verstärkung sollten die Balken mit Zwei-Komponenten-Kleber und Schrauben zusammengefügt werden. Das schien eine neumodische Methode aus dem Süden der Insel zu sein, die der Ingenieur vorgesehen hatte. Und ausgerechnet die kritischen Balken wurden als erstes geklebt. Nur leider nicht richtig gemischt, nicht richtig aufgetragen und vor allem nicht richtig zusammengepresst. Vor meinem geistigen Auge sah ich das Dach bereits wieder einknicken. Ich konnte mich nicht verständlich machen und zum ersten mal liessen mich meine Nerven die üblichen Umgangsformen in Bali vergessen. Ich fluchte heftig, laut und in einer urwüchsigen Form meiner Muttersprache auf die Arbeiter.

 

So deutlich, so laut und so heftig, dass die möchte gern Zimmermannen endlich von ihrem stümperhaften Verleimen der Balken abliessen. Mein Ausbruch schien eine Spur zu heftig gewesen zu sein. Denn die Baufachleute verliessen beleidigt das Gelände. Nach drei Tagen erschienen sie wieder, schweigend und abweisend und vermutlich nur dem dringend benötigten Arbeitslohn wegen. Aber immerhin, jetzt hatten sie, die für das Leimen benötigten Klemm-Zwingen dabei. Einige Tage später normalisierte sich die Situation. Ein offener Konflikt von mehr als einer Woche erträgt kein Balinese.

 

Bis zur Fertigstellung des Daches geschah dann ausser dem Baulärm nichts. Wenn man davon absieht, dass der pleite gegangene GU die Firma (respektive deren Namen) verkaufte und der neue Besitzer sich nicht in der Pflicht sah. Wenn man davon absieht, dass das Material und die (wenigen) benötigten Werkzeuge fehlten. Und wenn man davon absieht, dass ich noch einige, aber leider nicht alle, Pfusch-Arbeiten verhindern konnte.

 

Etwa drei Monate nach der feierlichen Einweihung ergab eine sorgfältige Kontrolle, dass die ganze Konstruktion (trotz der fachgerechten Zeremonie) bereits wieder besorgniserregnend abgesunken war. Da aber der, inzwischen Pleite gegangenen GU Bali mehr oder weniger freiwillig und etwas überstürzt verlassen musste, hatten wir für eine Garantie auf den Garantiearbeiten keinen Ansprechpartner.

 

Diesmal war es die am Gebälk aufgehängte Decke, die die Dachkonstruktion in Bewegung gebracht hatte. Deren Gewicht war aus der Sicht des Statik-Professors völlig zu Recht nicht in die Berechnungen eingeflossen, da sich sein Honorar nur auf das Dach bezog.

 

Nun kamen mir die zu Beginn unnötigerweise erworbenen Kenntnisse zu Baustatik doch noch zu gute. Gemeinsam mit Komang schweissten wir aus Baustahl und riesengrossen Spannschrauben eine Art Hänge-Brücke, die wir über der Decke einzogen und diese dann über mehrere Tage ganz sanft in jene Lage brachten, die der Decke eigentlich zustand.

 

Jetzt, weitere Monate später, scheint das Dach und die daran hängende Decke stabil zu sein, sodass dies vermutlich der letzte Bericht zu unserem Dach ist (falls der Baustahl unter dem Bitumen-Anstrich nicht unerwartet rasch durch rostet).

 

 

Wenigstens ein hübsches Bild hat diese Geschichte.